Nachhaltig leben
In der Küche mit Food-Nomadin Antje de Vries – inklusive Weihnachtsmenü zum Nachkochen
08.12.2023
Wer teilt, hat mehr: Unser Motto zeigt uns den Weg zu einer nachhaltigeren Mobilität. Doch Carsharing ist nur eine Möglichkeit einer umweltfreundlicheren Lebensweise. Antje de Vries vereint die Welt kulinarisch und erzählt, was die Ernährungswende mit dem Mobilitätswandel zu tun hat.
Es gibt Menschen, die sind in der Lage, mit ihrer Ausstrahlung ganze Räume zu füllen. Antje de Vries ist so eine Person. Die 41-Jährige tut das jedoch nicht nur mit ihrer frischen, aufgeweckten Art, sondern auch mit Pfannen, Töpfen und Kochlöffeln. Antje ist gelernte Köchin, Trendscout, Beraterin, Autorin, Ernährungsökonomin – und vor allem: Weltenbummlerin. Die gebürtige Ostfriesin hat keine Wohnung, keine Möbel, kein fixes Zuhause. Seit 2016 schläft sie in Hostels, Hotels, bei Freunden oder in Zügen. Ihr Ziel ist kein spezifischer Ort, sondern die ständige Bewegung. Ihre Vision: «Ich möchte Menschen durch Essen verbinden.»
Exklusiv für Mobility hat die Food-Nomadin ein winterliches, veganes Dreigangmenü kreiert, das sich durchaus auch als Weihnachtsmenü eignet und alle zu Hause nachkochen können (zum Rezept). Für die Umsetzung dieses Vorhabens treffen wir Antje de Vries an einem garstigen Novembertag im Provisorium Zürich. Wo früher die Produktion einer Konditorei und Bäckerei war, entstand in den vergangenen Jahren ein kreativer Raum; eine Mischung aus Co-Working-Space, Lebensmittelproduktion und Eventlocation. Sie fühlt sich wohl. «Das ist das Faszinierende am ständigen Unterwegssein: Man trifft immerzu auf inspirierende Menschen und Orte», sagt sie, während sie den Nüsslisalat und die Kräuterseitlinge für die Vorspeise zubereitet.
Ihr Leben hat Platz in einem 18-Liter-Rucksack
Seit Antje ständig in Bewegung ist, hat sich auch ihre Ansicht auf das Leben verändert: «Ich bin zwar oft unterwegs – aber wenn ich da bin, dann richtig.» Am liebsten bewegt sie sich mit den «Öffis», wie die Deutschen sagen, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln also. Zudem achtet sie darauf, stets so leicht wie möglich zu reisen. In ihrem 18-Liter-Rucksack transportiert Sie nur das Allernötigste. Wechselwäsche, Kochbekleidung, Erste-Hilfe-Set, eine kompakte Decke, ein Reisehandtuch, einen Badeanzug («ich liebe Gewässer!»), einen kleinen Laptop, «aber keine Hosen», sagt Antje und lacht. «Hosen trage ich nie. Nicht einmal auf der Skipiste.»
«Mobil zu sein ist ein wichtiger Teil meines Lebensgefühls», betont Antje de Vries. Nebst Bussen und Zügen nutzt sie oft auch Carsharing. Ein fixes Auto, ein eigener Parkplatz, regelmässige Werkstattermine: Für sie eine Horrorvorstellung. «Ein Fahrzeug soll mich von A nach B bringen, ansonsten will ich nichts damit zu tun haben.» Fakt ist aber auch, dass Antje de Vries oft mit dem Flugzeug reist. «Das ist mein Schwachpunkt», gibt sie zu. Wenn sie in Sierra Leone auf offenem Feuer kocht oder auf Bali mit verschiedenen Küchenchefs neue Food-Konzepte entwickelt, geht dies nur mit dem Flugzeug. «Natürlich mache ich mir meine Gedanken darüber», sagt sie. Nicht zuletzt deshalb versuche sie, ihre Erlebnisse auch anderen zugänglich zu machen. Besonders am Herzen liegt Antje ihr Engagement für den Verein PfefferminzGreen. Für das NGO realisiert sie gemeinsam mit Menschen aus Sierra Leone ein Kochbuch, mit dessen Erlös vor Ort eine Organisation unterstütz wird, die Genitalverstümmelung bei Frauen stoppt. Die Reisen in ferne Länder öffnen ihr immer wieder die Augen: «Um die Familie mit Essen und Wasser zu versorgen, muss in Sierra Leone sehr hart gearbeitet werden», betont sie. Das bringe eine völlig neue Perspektive auf unser Leben im Überfluss.
Neue Perspektiven eröffnen sich auch im Gespräch mit der Ostfriesin. «Die Ernährung hat sehr viel mit der Mobilität zu tun», sagt sie. In beiden Bereichen sei ein Umdenken im Gang. «Das Thema Nachhaltigkeit wird sowohl im Foodbereich als auch in der Mobilität gross geschrieben.» Vorteil Ernährung: Veränderungen lassen sich viel schneller erproben und umsetzen. In der Mobilität dauerts meist etwas länger. Ein Beispiel hierfür ist das Vorhaben von Mobility, in den nächsten Jahren alle Parkplatz-Standorte zu elektrifizieren.
Es ist wie beim Carsharing: Es braucht attraktive Alternativen
Für Antje de Vries gibt es einen entscheidenden Faktor, dass Veränderungen langfristig erfolgreich sind. «Es braucht Trendübersetzerinnen.» Menschen also, die mit gutem Beispiel vorangehen – und die in der Lage sind, andere für ihre Überzeugungen zu begeistern. «Wir müssen uns bewusst sein, dass einige wenige Leute und Unternehmen einen grossen Einfluss haben.» Genau deshalb ist sie auch eine starke Botschafterin der veganen Küche. «Wir starten unsere Food-Konzepte immer von der Pflanze aus. Erst wenn am Schluss noch eine tierische Beilage Sinn macht, fügen wir diese hinzu.»
Antje de Vries achtet darauf, beim Platzieren ihrer Botschaften nicht den Mahnfinger zu heben. «Die Leute sollen nicht das Gefühl haben, dass ihnen etwas weggenommen wird.» Viel zielführender sei es, den Menschen attraktive Alternativen zu bestehenden Modellen aufzuzeigen. Der Erfolg von pflanzlichen Ersatzprodukten beweise, dass Veränderungen auch bei emotionalen Themen möglich seien. Für die Food-Nomadin ist klar: «Wenn wir etwas ändern müssen, dann lass es uns doch gleich besser für alle machen!» Und manchmal gehe es auch darum, das Beste «aus zwei Welten» zu vereinen. «Wenn im Fastfoodladen zum Beispiel die Hälfte aller Hamburger aus Linsen wären, wäre die Welt schon ein grosses Stück besser.» Dass die pflanzlichen Alternativen mindestens so schmackhaft sind wie das Fleisch, beweist Antje de Vries nicht zuletzt mit ihrem exklusiven Mobility-Weihnachtsmenü.
Wir wünschen viel Freude beim Nachkochen – und «en Guete»!
Fotos: Patrick Besch