Ende Juni 2024 erreichte die Schweiz die Marke von neun Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern. Und wissen Sie was? Sie alle hätten auf den Vordersitzen unserer Autos Platz. Kein Witz: In unserem Land sind mehr als 4,7 Millionen Autos unterwegs. Gerade mal drei Prozent davon sind elektrisch betrieben – doch darum geht es an dieser Stelle nur am Rande.
Das Auto ist mehr als nur ein Fortbewegungsmittel – es ist tief in unserem Leben verankert und hat sich in der gebauten Umwelt viel Platz gesichert. Manche Kollegen bezeichnen es gar als 'Virus', das trotz des verursachten Schadens gesellschaftlich hoch akzeptiert bleibt. Und so wie es aktuell aussieht, wird sich daran in naher Zukunft nichts ändern. Der Beharrlichkeit des Systems Auto steht die Dringlichkeit für den Wandel gegenüber – um den Klimawandel abzubremsen und um unsere Lebensqualität zu sichern.
Mehr Infrastruktur = längere Strecken bei gleicher Reisedauer
Nicht nur der Motorisierungsgrad – also die Anzahl Autos je 1000 Einwohner – hält sich seit Jahrzehnten auf hohem Niveau, sondern auch die Art und Weise, wie wir uns bewegen. Wie schon 1970 wird auch heute noch rund jeder zweite Pendelweg mit dem Auto zurückgelegt. Was sich hingegen verändert hat, sind die Geschwindigkeiten: Durch den kontinuierlichen Ausbau der Strassen entstand über die Jahre eine Art «Reisezeit-Optimierungs-Maschine»: Mehr Infrastruktur verbessert die Erreichbarkeit, was wiederum längere Strecken bei gleicher Reisedauer ermöglicht – ein Teufelskreis, der zu immer mehr Verkehr führt.
Was dies im Extremfall bedeutet, zeigt ein Blick über den Atlantik: Los Angeles baut seine Strassenkapazitäten seit 60 Jahren aus, aber die Staus werden einfach nicht kleiner – im Gegenteil. Der stetige Infrastrukturausbau als Antwort auf den erhöhten Verkehrsdruck mag kurzfristig zu einer Entlastung führen, langfristig aber reagieren Menschen mit einem «Reinvestitionsmechanismus» der eingesparten Reisedauer.
Augenscheinlich ist auch, dass wir in den Schweizer Städten seit Jahren kein Verkehrswachstum mehr sehen. Sie sind schlichtweg voll, da gibt es keinen Platz für weitere Autos. Besonders deutlich wird das zu den Hauptverkehrszeiten, die sich mittlerweile über mehrere Stunden erstrecken. Glücklicherweise haben das die Politiker und Entscheidungsträger in den urbanen Zentren mehrheitlich erkannt: Seit Längerem reagieren sie mit Massnahmen wie der Reduzierung von Parkplätzen oder der Umwandlung von Verkehrsflächen in Grünzonen.
Doch das allein reicht nicht. Was es braucht, sind strikte Regulierungen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Freiwilligkeit und das Angebot neuer Mobilitätsformen nicht ausreichen, um den Autoverkehr zu reduzieren. Das Auto jedoch bleibt eine 'heilige Kuh', die nur schwer anzutasten ist. Dabei gibt es enormes Potenzial, insbesondere im städtischen Raum.
'15-Minuten-Stadt' oder 'E-Bike-City'
Ich halte zum Beispiel Ansätze wie die '15-Minuten-Stadt' als vielversprechend: Alle wichtigen Einrichtungen des täglichen Lebens sollen zu Fuss oder per Velo in 15 Minuten erreichbar sein. Das Konzept fördert Lebensqualität, reduziert den Autoverkehr und schont die Umwelt. Ein weiteres spannendes Modell ist die sogenannte 'E-Bike-City'. Dabei handelt es sich um eine Planungsvision der ETH Zürich, bei der bis zur Hälfte der städtischen Autostrassen in Grünflächen und Veloschnellrouten umgewandelt werden sollen. Solche Visionen zeigen, dass es Alternativen gibt, die Platz und Umwelt schonen.
Ich bin nicht nur Verkehrsforscher, sondern auch Soziologe. Und in dieser Rolle stelle ich fest, dass die Diskussionen heute zu stark von der Technologie dominiert werden. Wir brauchen aber nicht nur modernere Technologien, sondern vor allem auch einen gesellschaftlichen Wandel. Wir müssen bereit sein, ganz grundsätzlich über unsere Mobilitätsnutzung zu diskutieren.
Konzepte wie Superblocks, bei denen in Quartieren nur eine Strasse für Autos geöffnet bleibt, oder die erwähnte '15-Minuten-Stadt' deuten an, wie der Wandel gelingen könnte. Mobilitätsdienstleister wie Mobility zeigen zudem, dass es Alternativen gibt, die nicht nur technisch innovativ, sondern auch gesellschaftlich relevant sind. Carsharing und ähnliche Konzepte mögen derzeit noch einen kleinen Anteil ausmachen, aber sie schaffen Bewusstsein und bieten praktikable Alternativen zum Privatfahrzeug.
Solche Angebote haben das Potenzial, das Mobilitätsverhalten langfristig zu verändern, besonders wenn sie weiterentwickelt und in grösserem Massstab angeboten werden. Letztlich ist es die Summe von verschiedenen Innovationen, die es braucht, um in der Masse eine Veränderung zu erreichen. So sind zum Beispiel auch Elektroautos ein kleiner Baustein der Verkehrswende – gleichzeitig ist ihr Einsatz in den Städten letztlich genauso fraglich wie jener von Verbrennungsautos.
Ich bin überzeugt: Am Ende wird nur die Kombination aus technologischem Fortschritt und gesellschaftlichem Wandel zu einer langfristigen Verkehrswende führen. Es braucht Mut und Ausdauer, zukunftsfähige Visionen konsequent umzusetzen. Mit Unternehmen wie Mobility, die neue Mobilitätsformen fördern, haben wir bereits wichtige Bausteine, um die Mobilität der Zukunft nachhaltiger und lebenswerter zu gestalten. Lassen Sie uns diese Reise gemeinsam antreten – in der Forschung, in der Praxis mit Bund, Kantonen und Gemeinden sowie im Austausch mit der Bevölkerung.
(Bild Seitenkopf: André Herger)
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