Cathérine Hartmann, kommen wir gleich zum Punkt: Wer ist in der Schweiz nachhaltig unterwegs, wer nicht?
Cathérine Hartmann: Obwohl wir ein gut ausgebautes ÖV-Netz haben und viele Personen umweltfreundlich unterwegs sind, besteht in Bezug zur Nachhaltigkeit über die ganze Gesellschaft hinweg grosser Handlungsbedarf.
Was heisst das konkret?
Grundsätzlich überschätzen alle Altersgruppen ihr klimafreundliches Verhalten, was die Sotomo-Studie 2024 bestätigt. Ganz besonders viel Potenzial zu CO2-Einsparungen in der Mobilität haben gemäss Studie die jungen Erwachsenen – und dort vor allem jene mit hohem Einkommen. Diese Gruppe ist zum Beispiel häufig mit dem Flugzeug unterwegs.
Gerade die jĂĽngeren, gut ausgebildeten Leute mĂĽssten es besser wissen.
Die Wissenschaft spricht bei diesem Phänomen von der sogenannten «attitude-behaviour gap». Das bedeutet nichts anderes, als dass unsere Einstellungen und Absichten oftmals mit unserem Verhalten kollidieren.
Weshalb?
Dafür gibt es viele mögliche Gründe. Die Bequemlichkeit ist ein wichtiger Aspekt, aber auch die gedankliche Beschränkung auf das Hier und Jetzt ist ein wichtiger Faktor. Zudem gibt es eine Art Verdrängungsmuster: Wer einen anspruchsvollen Job hat, hat das Gefühl, dass er sich dafür die Flugreise gönnen darf. Zudem vergleichen wir uns oft mit andern: Warum soll ich nicht nach Thailand fliegen dürfen, wenn es der Nachbar zweimal pro Jahr tut? Man sucht sich die passenden Rechtfertigungsstrategien, um mit gutem Gewissen durchs Leben zu kommen.
Wie steht es um den Unterschied zwischen Stadt und Land?
Auf dem Land wird durch die Autonutzung durchschnittlich mehr CO2 pro Jahr und Person ausgestossen als in den Städten. Das hat natürlich damit zu tun, dass die ländlichen Gegenden nach wie vor schlechter mit dem ÖV erschlossen sind als die Städte. Das Mobilitätsverhalten ist stark strukturdeterminiert (eine festgelegte Struktur, Anm. der Red) und von den Bedürfnissen und Gewohnheiten der Personen abhängig.
Wie lässt sich ein solches Verhalten verändern?
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier – und neue Gewohnheiten zu finden verlangt viel Zeit, Geduld und Spucke.
Was also ist zu tun?
Lebensphasen mit grossen Umbrüchen bieten eine ideale Ausgangslage für Verhaltensänderungen. Das kann bei einem Umzug, einem Jobwechsel oder der Geburt des Kindes der Fall sein. Zudem werden wir zu Gewohnheitsänderungen ermutigt, wenn wir positive Erfahrungen machen und diese mit anderen teilen.
«Gemeinsam sind wir stark» als Motto für eine nachhaltigere Welt?
Genau. Die Klimabewegung ist ein ideales Beispiel dafür, wohin diese Gruppenwirksamkeit führen kann. Im Kollektiv besteht eine soziale Kontrolle, sich an Verpflichtungen zu halten. Die Selbstwirksamkeit in der Gruppe stärkt das Gefühl, etwas tatsächlich erreichen zu können.
«Wer teilt, hat mehr» – so der Slogan von Mobility. Reicht das als Anreiz, um noch mehr Menschen zum Carsharing zu bringen?
Eine schöne Aussage, die zutrifft. Dennoch sollte deutlich gemacht werden, was das «mehr» sein kann: mehr Platz in der Stadt, mehr Geld auf dem Konto, mehr gesunde Wälder und frische Luft zum Beispiel. Wichtig scheint mir, dass Carsharing und andere nachhaltige Mobilitätsarten in Zukunft noch attraktiver werden, damit wir das «mehr» auch spüren.
Wie kann das gelingen?
Der Umweltaspekt ist schön und gut, aber Themen wie Bequemlichkeit und Komfort, die Kosten und das Gemeinschaftsgefühl sind für die einzelnen Nutzenden mindestens so wichtige Motivatoren.
Täuscht der Eindruck, oder sind Verhaltensänderungen in der Mobilität besonders anspruchsvoll?
Ja, die Mobilität ist echt tricky. Im Gegensatz zu anderen Bereichen – zum Beispiel der Ernährung – scheint es in diesem Bereich viel schwieriger zu sein, gewohnte Verhaltensmuster langfristig zu durchbrechen. Gleichzeitig gibt es Entwicklungen, die durchaus Mut machen und uns zuversichtlich stimmen lassen.
Nämlich?
Ich denke an die kommenden Generationen, die vieles hinterfragen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Umweltthemen heute früher und stärker in der Schule thematisiert werden. Das deutet darauf hin, dass sich in den kommenden Jahren eine andere Art von Mobilitäts-Routine entwickeln könnte. Dafür braucht es natürlich die nötigen politischen und technischen Rahmenbedingungen.
Das Mobility-Netz umfasst das ganze Land. Reichen diese Rahmenbedingungen nicht, um noch mehr Menschen fĂĽr Carsharing zu motivieren?
Carsharing bedeutet, etwas mit anderen zu teilen. In Bezug auf das Auto ist das für viele ein neuer, ungewohnter Gedanke. Das hat verschiedene Gründe: Erstens gilt das Auto als Statussymbol, zweitens ist das Auto für viele eine Art «Zuhause» auf vier Rädern – das darf man nicht unterschätzen.
Wie meinen Sie das?
Egal ob Sitz, Rückspiegel oder Musikanlage: Wir richten uns das Auto genauso ein, wie es für uns passt. Wenn wir ein Mobility-Auto ausleihen, ist es immer ein bisschen so, als hätte jemand unseren Sitz umgestellt und an der Musikanlage herumgedreht. Deshalb gibt niemand gerne sein eigenes Auto her. Umso wertvoller wäre es, wenn wir den Carsharing-Autos einen individuellen Touch verleihen könnten.
Wie soll das funktionieren?
Ich bin Umweltpsychologin, keine Auto- oder Softwaredesignerin. Aber: Der technologische Fortschritt macht eine gewisse Personifizierung heute schon möglich. Wenn in Zukunft noch mehr smarte (Elektro-) Autos auf den Strassen unterwegs sind, sollte das noch häufiger der Fall sein. Wenn dieser Komfort steigt und mit den weiteren positiven Faktoren des Carsharings kombiniert wird, könnte diese Art der nachhaltigen Mobilität weiter wachsen.
Fotos: Patrick Besch
Die Kommentare werden innerhalb von 24 Stunden aufgeschaltet.
Bemerkungen
Dass es in der Stadt etwas (nur etwas!!) weniger Autobesitzer gibt, ist wirklich nichts Neues und die Erklärung ist simpel. Obwohl eigentlich sehr grün - habe kein Auto bin seit der Jugendzeit mit Velo und öv unterwegs, kann aber Autofahren, sogar LKW - habe ich kein Verständnis für die Argumente resp. Behauptungen von politisch "grünen Leuten".
Wer gerne Velo fährt, soll es geniessen, aber nicht meinen, er sei ein besserer Mensch deswegen. Und wer gerne in die Welt hinaus fliegt, muss sich bigoscht nöd schämä - äs hätt mir niemert zägä, dass das ökologisch unmoralisch seig, ich bruchti kä Missionarä, ich meinte, diese Zeit "der kolonialistischen Besserwisserei sei vorbei.
"Man sucht sich die passenden Rechtfertigungsstrategien, um mit gutem Gewissen durchs Leben zu kommen." Vielleicht findet man es auch schlicht und einfach nicht falsch, und muss sich deshalb gar nicht rechtfertigen...? Die Flug-, Auto- und Fleischscham ist letztlich ein sehr lokales Phänomen in den grossen Städten. Der grösste Teil der Menschen schämt und rechtfertigt sich dafür genau so wenig, wie man sich ausserhalb einiger religiöser Gruppen für den Sex vor der Ehe schämt.
Ich bin seit langer Zeit Mobility-Mitglied. Bitte hört mit dem opportunistischen Öko-Gesäusel auf. Virtue-Signalling ist ganz einfach verlogen. Euer Business ist es, Angebote im Bereich der Automobilität zu machen. Basta.
genau, das finde ich auch - aufhören mit dem öko-moralischen Gesäusel