Bettina Höchli, wir haben Sie für dieses Interview fotografiert, wie Sie auf dem Velo zur Arbeit an der Uni Bern fahren. Hand aufs Herz: Sind Sie immer so umweltbewusst unterwegs?
(Lacht) Ja, ich pendle tatsächlich fast täglich mit dem Velo von Hinterkappelen nach Bern. Die Fahrt dauert ungefähr 25 Minuten. Ich mache das aber nicht, weil mein Umweltbewusstsein gross ist.
Sondern?
Ganz einfach: Der Arbeitsweg mit dem Velo bereitet mir Freude. Ich schätze es, dass ich morgens und abends meinen Kopf lüften kann, statt mich in einen vollgestopften Bus setzen zu müssen. Dass es sich hierbei um die kostenlose und nachhaltigere Variante handelt, ist schön – in diesem Fall aber zweitrangig.
Nachhaltiges Verhalten sollte also vor allem Spass machen?
Es hilft auf jeden Fall, wenn man Freude an dem hat, was man tut. Carsharing ist ein gutes Beispiel hierfür. Dass das Teilen die nachhaltigere Lösung ist, als ein eigenes Auto zu besitzen, ist meist nicht der ausschlaggebende Faktor. Das Angebot von Mobility funktioniert vor allem deshalb so gut, weil es unkompliziert, praktisch und sozial akzeptiert ist.
Wie nachhaltig sind Sie in anderen Lebensbereichen unterwegs?
Es gibt definitiv noch Potenzial; mein Fussabdruck ist klar zu gross. Ich habe mir zum Ziel gesetzt, jeden Tag ein wenig besser zu werden. Unrealistisch wäre es, das Leben von heute auf morgen komplett umstellen zu wollen.
Gibt es spezifische Situationen, in denen Sie bewusst ökologischere Optionen wählen?
Es gibt definitiv Bereiche, in denen mir das leichter fällt. Ich verzichte zum Beispiel auf ein Auto und bin fast ausschliesslich mit dem Velo und dem ÖV unterwegs. Ich heize meine Wohnung nicht allzu stark und kaufe wenig neue Kleider. Darüber hinaus beteilige ich mich an Abstimmungen und wähle Personen, die sich für eine nachhaltige Entwicklung einsetzen.
Klingt vorbildlich.
Das ist längst nicht in allen Bereichen der Fall. Dieses Jahr bin ich zum Beispiel trotz Vorsätzen geflogen, weil die geplante Reise mittels Nachtzug mit der Kinderbetreuung nicht aufgegangen ist. Ich esse noch Fleisch, obwohl ich mir den Auswirkungen des Fleischkonsums bewusst bin. Und seit ich vor zwei Jahren Mutter einer Tochter wurde, ist Foodwaste leider vermehrt ein Thema.
Bestimmt geht es vielen auch so. Wie lässt sich das erklären?
Wir Menschen sind keine rationalen Wesen. Die sogenannte Absichts-Verhaltenslücke beschreibt das Phänomen, dass wir häufig gute Absichten haben und hoch motiviert sind – es dann aber nicht schaffen, die Absichten in ein Verhalten zu übersetzen. Hierbei spielen unsere Gewohnheiten eine wesentliche Rolle.
Können Sie Beispiele dafür nennen?
Nehmen wir die Ernährung: Ich kenne die Menüs, die ich regelmässig koche und kaufe immer ähnliche Produkte. Will ich jedoch vegan oder vegetarisch kochen, muss ich mit den herkömmlichen Menüs brechen und andere Produkte einkaufen. Das kann anfänglich anstrengend sein oder im Alltagsstress wieder vergessen gehen. Und so merke ich an der Kasse, dass trotz anderer Pläne wieder die üblichen Produkte im Einkaufswagen liegen. Auch soziale Normen tragen zu unserem Verhalten bei.
Inwiefern?
Wenn Sie auswärts essen gehen und alle das Fleischmenü wählen, sind die Chancen hoch, dass Sie sich nicht wehren. Zudem sind wir Meisterinnen und Meister darin, Ausreden zu finden, warum wir etwas nicht tun.
Wie kommts?
Oft haben wir das Gefühl, dass wir bereits nachhaltig unterwegs sind. Wir neigen dazu, gewisse Verhaltensweisen zu überschätzen. Wenn wir zum Beispiel beim Einkaufen keine Plastiksäckli nutzen, ist das schön und gut. Wenn wir dafür zweimal pro Jahr nach Mallorca fliegen, bringt die Massnahme wenig. Geht es um Veränderungen, beginnen wir häufig mit Dingen, die uns leichtfallen. Das ist super. Wenn es aber dabei bleibt und wir uns zurücklehnen, schenkt es nicht wirklich ein.
Das klingt ernüchternd. Welche konkreten Veränderungen können Menschen in ihrem Alltag treffen, um nachhaltigere Entscheidungen zu treffen?
Zunächst sollte man eine Auslegeordnung machen und sich überlegen, welche Verhaltensänderungen wirklich einen Einfluss haben und für einen infrage kommen. Danach sollte man möglichst konkrete Pläne schmieden und sich überlegen, wie die neuen Gewohnheiten in den Alltag eingebaut werden können. Je weniger Aufwand dies erfordert, desto besser. Zudem kann es hilfreich sein, sich selber Belohnungsanreize zu setzen.
Wie könnte ein «konkreter Plan» aussehen?
Bleiben wir beim Beispiel mit dem Velo: Stellen Sie das Velo am Vorabend bereit, leisten Sie sich einen guten Regenschutz und belohnen Sie sich mit einem leckeren Frühstück im Büro. Das wird Sie zusätzlich motivieren. Wichtig ist zu erwähnen, dass die Hürden nicht für alle die gleichen sind. Mir fällt der Verzicht aufs Auto leicht, da ich an einem Ort wohne, der es mir erlaubt, mit dem Velo zur Arbeit zu fahren und mit dem ÖV gut erschlossen ist. Das gilt natürlich nicht für alle.
Wann ist der ideale Zeitpunkt, um sein Verhalten zu ändern?
Es gibt Moment im Leben, da ändert sich ohnehin viel und bestehende Gewohnheiten werden durchgerüttelt. Ein Umzug, ein Baby, ein Jobwechsel: Das sind Gelegenheitsfenster, um neue Gewohnheiten zu starten, die mit unseren persönlichen Nachhaltigkeitszielen übereinstimmen.
Und wie steht es mit dem Jahreswechsel?
Das neue Jahr bietet eine gute Gelegenheit, sich neue Verhaltensweisen vorzunehmen. Bevor man jedoch vorschnell einen Vorsatz formuliert, sollte man sich Zeit nehmen, um über das Vorhaben nachzudenken. Dazu gehören grosse Fragen wie «In welcher Welt will ich leben?» oder «Wie kann ich mein Verhalten im Hier und Jetzt anpassen, um in diese Richtung zu kommen?». Wenn man diese Fragen für sich beantworten konnte, gilt es, möglichst konkrete Umsetzungspläne festzulegen. Viel Glück!
Fotos: Patrick Besch
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Bemerkungen
Danke für den Text, nur eine kleine Berichtigung: Radfahren ist nicht gratis, Amortisation und Unterhalt kosten mich als Vielfahrer noch 12 Rp pro Kilometer. Im Vergleich zum Autofahrer ist dies natürlich wenig....
Frau Höchli macht viel Gutes und erklärt prima. Viele andere - auch ich- leben umweltbewusst. Aber: Die schädliche Fliegerei verzeichnet aktuell Rekorde und der nächste Stau am Gotthard ist absehbar. Es reicht also nicht, ans individuelle Gewissen und Verhalten zu appellieren. Es bracht allgemeine Verbindlichkeiten analog: Wir fahren alle auf der rechten Strassenseite und halten bei Rotlicht an usw. Dieser wichtige Aspekt hätte dem Gespräch gutgetan. Und der Begriff der Verantwortung auch.
Diesbezüglich zu " Mobility": Will bald ihre Fahrzeugflotte auf Elektroautos umrüsten. Ich bin ein Mobility- e- VW gefahren: Viel zu schwer, viel zu hoher Stromverbrauch, viel zu teuer, viel zu nobel mit Schickimiki noch und noch. Verantwortung gegenüber dem Klima und zukünftigen Generationen? So kommt das nicht gut. Ich bedaure und hoffe weiter...
Freundliche Grüsse aus dem Solothurnischen
R. Amiet , 4515 Oberdorf
Ich hab ja davor Angst als Öko zu gelten, schon die Umstellung auf Mobility hat ja Jahre gedauert
Ich kann nur allen empfehlen, mal einen CO2-Fussabdruck-Rechner (z. B. vom WWF, https://www.wwf.ch/de/nachhaltig-leben/footprintrechner) zu machen und dann zu überlegen. Muss es wirklich jedes Jahr eine Flugreise sein? Die schenkt einfach am meisten ein beim individuellen Fussabdruck. Bei mir war das Augen öffnend und ich bin seitdem nur noch mit dem Zug, öffentlichen Bus (z. B. in Spanien) - und ja auch selten - mit Mobility unterwegs.
Sehr ermutigende, lebensnahe und uns Menschen erkennende Worte, die zum Nachdenken und Handeln anregen.
Herzlichen Dank und erfüllende (nicht nur kulinarisch gemeint) Adventszeit,
Josef