Gastbeitrag
Wie Carsharing einen Beitrag zu besseren Städten leisten kann
12.08.2025

Rebecca Karbaumer ist bei der Stadt Bremen für nachhaltige Mobilität zuständig und koordiniert europäische Projekte rund um geteilte Mobilität. Seit 2022 ist sie Verwaltungsrätin bei Mobility. Dieser Text ist ein Auszug aus ihrem Referat anlässlich der Mobility-Delegiertenversammlung 2025.
Carsharing ist für viele ein Nebenthema – für mich ist es ein zentrales Instrument für die Mobilitätswende. Dabei geht es um weit mehr als den CO2-Ausstoss. Denn Nachhaltigkeit im städtischen Raum ist deutlich komplexer und umfasst auch soziale, räumliche und wirtschaftliche Aspekte. Aus meiner Arbeit in Deutschland und ganz Europa weiß ich: Geteilte Mobilität kann helfen, unsere Städte gerechter, lebenswerter und effizienter zu gestalten.
Nachhaltigkeit neu denken
Allzu oft wird Nachhaltigkeit auf die CO2-Emissionen reduziert. Klar, diese Emissionen sind ein Problem – aber eben nicht das Einzige. Städte leiden heute unter Hitzewellen, Starkregen, Lärm, Feinstaub, Flächenknappheit und sozialen Ungleichheiten. Der öffentliche Raum ist begrenzt. Viele europäische Städte sind gebaut für eine Zeit vor dem Automobil. Und doch beanspruchen Autos den Grossteil dieses Raums – häufig stehend.
Es geht auch um Gerechtigkeit: Wer hat Zugang zum Raum? Wer profitiert von der Infrastruktur? Barrierefreiheit, Teilhabe, Sicherheit für alle Altersgruppen – das sind ebenso wichtige Nachhaltigkeitsziele wie Emissionsreduktion.
Shared Mobility als Schlüssel
In dieser komplexen Gemengelage bietet geteilte Mobilität konkrete Antworten. Ich bin überzeugt: Carsharing ist Teil einer umweltfreundlichen, sozialgerechten und bezahlbaren Mobilität, die mit Fuss- und Radverkehr beginnt und den Umweltverbund ergänzt. Eine nachhaltige Mobilitätspyramide (siehe Grafik) ermöglicht allen Menschen Zugang zu Mobilität. Sie startet mit den Verkehrsmodi, die für alle Menschen zugänglich sind und endet mit den privaten, ressourcenintensiveren Verkehrsmitteln.
Zahlreiche Studien bestätigen: Carsharing-Nutzer:innen fahren weniger Auto, bewegen sich aktiver, nutzen häufiger den ÖV als die durchschnittlichen Autobesitzer:innen. Carsharing-Nutzer:innen besitzen auch viel seltener ein eigenes Fahrzeug.

Platz sparen statt Blech parken
Ein eindrucksvolles Bild, das ich in Vorträgen oft zeige, ist jenes von den «12 Quadratmetern»: So viel Platz beansprucht ein einziger PKW-Stellplatz – Fläche, die in vielen Städten fehlt. Diese Fläche entspricht einem Kinderzimmer oder mehreren Abstellplätzen für Velos oder Lastenvelos. Wenn wir Menschen fragen, was sie sich in ihrem Wohnhaus wünschen, lautet die Antwort selten: mehr Parkplätze. Sie sagen: mehr Platz zum Leben.
Carsharing als Kostenbremse
Carsharing entlastet nicht nur die Umwelt, sondern auch die Haushaltskassen – sowohl die der Nutzerinnen und Nutzer als auch der Städte. Öffentliche Parkplätze kosten Kommunen viel Geld, Quartiergaragen sind teuer, besonders wenn sie unterirdisch geplant werden. In Neubauprojekten kann Carsharing bares Geld sparen – sowohl für Investoren als auch für Bewohner:innen.
In Bremen etwa verpflichtet das Parkierungsreglement für Neubaumassnahmen Investoren zur Vorlage eines Mobilitätskonzepts einschliesslich Massnahmen des Mobilitätsmanagements (u.a. ist auch Carsharing ein möglicher Baustein dieses Konzepts). Und im Zuge dessen muss der Investor deutlich weniger PKW-Stellplätze bauen. Das bedeutet: Wer ein Mobilitätskonzept integriert, spart.
Die Annahme, dass sich Wohnungen ohne Stellplatz nicht verkaufen lassen, habe ich vor Kurzem in einer Studie hinterfragt. Ergebnis: Die Mehrheit hat es nicht nur gut, sondern sehr gut geheissen, wenn sie beim Einzug Alternativen wie Carsharing anstelle eines PKW-Stellplatzes angeboten bekommen.
Elektrifizierung: wichtig, aber nicht das «A und O» der Nachhaltigkeit
Ich höre oft die Plattitüde, dass Carsharing nur nachhaltig sei, wenn es elektrisch ist. Meine Antwort: E-Mobilität ist wichtig, aber sie löst nicht das Verkehrsproblem. Ein Verkehrsproblem kommt in Form von parkenden Autos daher. Selbst wenn alle diese Fahrzeuge elektrisch wären: Stau, Platzverbrauch, Ressourcenaufwand blieben bestehen.
«Wenn es um Emissionsreduktion geht, ist das Wachstum der Carsharing-Nutzung deutlich wirkungsvoller als die Flottenelektrifizierung»
Carsharing reduziert den Verkehr sowie den Platzbedarf durch parkende Autos – unabhängig vom Antrieb. Und was die Emissionen durch Verkehr angeht, ist das Mobilitätsverhalten das Entscheidende! Das lässt sich an folgendem Beispiel veranschaulichen: In Bremen etwa sparen die rund 28’000 Nutzerinnen und Nutzer von Carsharing durch ihr Mobilitätsverhalten jährlich 24’000 Tonnen CO2. Würden man die gesamte Bremer Carsharing-Flotte von heute auf morgen elektrifizieren (das sind z.Z. an die 639 Fahrzeuge), wären es nur etwa 2.300 Tonnen CO2, die jährlich eingespart werden könnten. Der Aufwand: ein Invest von 4 bis 5 Millionen Euro – alleine für Ladeinfrastruktur. Dagegen hätte nur schon ein Kundenwachstum von 400 bis 800 Personen denselben CO2-Effekt wie die komplette Flottenelektrifizierung. Deutlich wirkungsvoller ist also das Wachstum der Carsharing-Nutzung insgesamt, wenn man wirklich auf Emissionsreduktion im Verkehr setzt.
Der falsche Hebel: E-Quoten
Politisch wird immer wieder über E-Quoten für Carsharing diskutiert. In Amsterdam, Hamburg und Antwerpen gibt es sie bereits. Aber: Die Branche ist längst weiter als der Privatmarkt. In der Schweiz sind 20 Prozent der Mobility-Fahrzeuge elektrisch, bei privaten Autos nur ca. 4 Prozent. In Deutschland liegt der Anteil bei 18 Prozent aller Carsharing-Fahrzeuge gegenüber 2,9 Prozent im Privatbesitz. Die Carsharing-Branche elektrifiziert also bereits vorbildlich – aber mit Augenmass, nach den Bedürfnissen der Kund:innen und nach Möglichkeiten, die die Infrastruktur bietet.
Was Carsharing jetzt wirklich braucht
Wenn ich über nachhaltiges Wachstum spreche, dann meine ich: mehr Standorte, mehr Fahrzeuge, mehr Kundinnen und Kunden. Insgesamt muss es möglich sein, dass Menschen weniger Auto fahren. Dazu gehören gute ÖV-Angebote sowie Möglichkeiten, Wege zu Fuss und mit dem Velo zurückzulegen – und dies unabhängig von sozioökonomischen Status oder körperlicher Fähigkeit. Und wenn Menschen dann mal Auto fahren müssen oder wollen, muss es mit Carsharing möglich sein – genau so einfach und komfortable wie mit dem eigenen Auto. Denn das ist unsere grösste Konkurrenz: das private Auto.
Was das private Auto nämlich sehr, sehr gut kann, ist jederzeit vor meiner Haustür verfügbar sein, sowie das subjektive Gefühl der Freiheit vermitteln. Heisst: Nur wenn wir diese Nähe und dieses Gefühl für eine breitere Masse mit Carsharing erreichen, können wir wirklich Wirkung entfalten.
Mein Fazit
Carsharing ist mehr als ein Mobilitätsangebot. Es ist eine Antwort auf drängende Fragen der Zeit, insbesondere in Städten: Platz, Klima, soziale Gerechtigkeit. Der Fokus für Anbieterinnen wie Mobility sollte auf Ausbau, Erreichbarkeit und Nutzer:innengewinnung liegen – nicht auf technischer Symbolpolitik. Das sinnvollste E-Auto bleibt: das Geteilte.