Meine ersten Carsharing-Monate im Jahr 1987 waren einsam. Ich kurvte in der Zentralschweiz herum, geteilt und gefahren lediglich von den acht ATG-Gründern. Sie machten aus mir «ein Fahrzeug statt ein Stehzeug», wie mir Gründungsvater Conrad Wagner erklärte. Umweltmotive und Nachhaltigkeit standen zuvorderst. Drei Jahre später zählte ich bereits 38 rote Kollegen, womit ich Teil einer richtigen Flotte wurde. Wenn ich daran denke, dass «meine» Mobility heute über 3ʼ100 Fahrzeuge an 1ʼ500 Standorten umfasst, welche von über 220ʼ000 Menschen in der ganzen Schweiz bewegt werden, kann ich mir einen Freudenhuper nicht verkneifen. Natürlich – ich selbst bin längst pensioniert, beobachte die Szenerie aus meiner Garage, aber wach und mit grösstem Interesse.
Vom Papier zur App
Wer mich in den Anfängen fahren wollte, trug seine Reservation von Hand in eine Liste ein und notierte die gefahrenen Kilometer in ein Bordbuch. Auch die Sache mit den Schlüsseln war aufwendig: Sie hingen in einem Kasten an der Hauswand, für den wiederum separate Schlüssel nötig waren. Kompliziert, hm? 1993 wurden dann telefonische Reservationen möglich, um die Jahrtausendwende Internetreservationen. Wer meine Flotten-Kameraden heute reservieren will, tippt ganz einfach auf sein Handy-Display. Sogar Bluetooth-Öffnungen sollen neu bald möglich sein. Ich muss schon sehr aufpassen, dass ich in meinem Alter mit all diesen Digitalisierungsschritten mitkomme; aber immerhin heisst „Kadett“ so viel wie «ehrenamtlicher Helfer bei der Verkehrsregelung» – und das verpflichtet!
Von ATG zu Mobility
Ab April 1997 trugen meine Kollegen den Schriftzug «Mobility» auf den Kotflügeln, ein Name, der mich von Anfang an begeistert hat. Die Genossenschaft entstand aus der Fusion zwischen der ATG und der Zürcher ShareCom, welche zeitgleich ein Carsharing-Modell gestartet hatte. Das eindrückliche «Startkapital» umfasste deshalb 700 Fahrzeuge und 17ʼ400 Kunden.
Vom Solo-Auftritt zur Vernetzung
Wie erwähnt war ich in der Pionierzeit für einige Monate alleine für die ATG unterwegs. Unter «Mobility» starteten meine Eigner tragende Kooperationen mit grossen «Playern», wie man heute sagt. «Vernetzung» wurde zur tragenden Strategie-Vokabel. So entstand 1998 in Zusammenarbeit mit der Migros das Business Carsharing, und mit der SBB wurde 2006 das Angebot «Click & Drive» lanciert, welches ganz ohne Abo funktioniert. Weitere Kooperationspartner mit klingenden Namen sind etwa der Tarifverbund Libero, Schweizer Universitäten und Hochschulen oder der Swisspass der ÖV-Branche. Mich als Oldtimer macht diese erfolgreiche Entwicklung stolz. Ich hätte direkt Lust, nochmals mitzumachen und mein Gaspedal gedrückt zu bekommen!
Vom Benziner zum E-Car
Lange wurde «meine» Flotte mit Benzin oder Diesel über Stadt und Land bewegt. «Elektro» und «Hybrid» waren allenfalls Stichworte in einer Langzeitvision. Doch inzwischen ist alles anders. Bereits 2011 nahm Mobility zusammen mit m-way, SBB und Siemens Elektroautos in Betrieb – also jene Kollegen, die man nicht mehr hört und die emissionslos unterwegs sind. Und jetzt der Hammer: Bis spätestens in zehn Jahren wird es bei Mobility nur noch E-Autos geben. Damit wird die Umwelt geschont und in Nachhaltigkeit investiert. Eine tolle Vision!
Auch brachte ich fast meine Heckklappe nicht mehr zu, als ich erfuhr, dass es jetzt Minibusse gibt, die so smart sind, dass niemand mehr ihr Lenkrad zu berühren braucht. Solch selbstfahrenden Fahrzeugen solle die Zukunft gehören. Im Jahr 2017 hat meine Eigentümerin mit Partnern wie der SBB ein Pilotprojekt mit autonom fahrenden Autos in Zug gestartet. Fazit: Noch ist ihre Zeit nicht gekommen. Mit Betonung auf «noch».
Von der Pionierin zur Innovationstreiberin
Ich musste viele Englisch pauken, um beim stetigen Angebotsausbau von Mobility à jour zu bleiben. Ihre Innovationskraft ist so eindrücklich, dass es mir hin und wieder den Auspuff schüttelt. Beispiele gefällig? «Mobility-Flex» für die Eröffnung von Carsharing-Standorten auf Bestellung, «Poolcar-Sharing» für Businesskunden mit eigener Fahrzeugflotte, «Mobility-Go» für stationsungebundenes Carsharing im Freefloating-System oder «One-Way» für Einwegfahrten von Stadt zu Stadt. Eigentlich gibt es hier nichts mehr, das es nicht gibt.
«Wer teilt, hat mehr.»
Bei aller Innovation und den permanenten Digitalisierungsprozessen: Meine Besitzerin ist ihren Gründerwerten treu geblieben. Das damalige Credo der ShareCom «teilen statt besitzen» ist heute genauso aktuell wie damals. Nachhaltige, verkehrs- und kostenreduzierende Mobilitätslösungen stehen auch in Zukunft stark im Fokus. So ersetzt jeder meiner Urenkel, also jedes Mobility-Auto, elf Privatautos. Zudem spart jeder Nutzer CHF 4ʼ000 Franken gegenüber einem Privatauto. Der Genossenschafts- und damit auch der Community-Gedanke ist nach wie vor topaktuell. Und wenn die Menschen das Teilen von Autos verstärkt als Lifestyle wahrnehmen, glaube ich: Das sind schöne Aussichten.
Dein Opel Kadett von 1987.
Bemerkungen
Schade das solche Fahrzeuge nicht mehr erhalten sind, so aus geschichtlicher Sicht. Wäre noch Toll, wenn Mobility so eine Art Oldtimer Fahrzeugflotte hätte, die man für ganz besondere Anlässe mal Nutzen könnte. Klar ist etwas sentimental mein Gedankengang, doch von der Vergangenheit lebt ja auch die Zukunft.
HG tom