«V2X kann einen wesentlichen Beitrag leisten, damit Stromengpässe verhindert werden können»

Elektroautos, die nicht gefahren werden, senden bei Bedarf den Strom zurück ins Netz: so die Vision von V2X Suisse. Zusammen mit diversen Partnern erbrachte Mobility den Beweis, dass die Idee in der Praxis funktioniert. Projektleiter Marco Piffaretti über das enorme Potenzial der Technologie.

Text   Daniel Schriber

22.09.2023

  • Nachhaltigkeit

Marco Piffaretti, das Projekt «V2X Suisse» wurde vor einem Jahr lanciert. Welche Bilanz ziehst du als Projektleiter?

Mit 50 E-Autos an 40 Mobility-Standorten ist «V2X Suisse» der bisher grösste Test dieser Art in der Schweiz – und einer der grössten in Europa. Inzwischen haben rund 3500 Kundinnen und Kunden mit den bidirektionalen Fahrzeugen mehr als 400'000 Kilometer zurückgelegt. Heute wissen wir: Technisch funktioniert die Rückspeisung ins Netz sehr gut. Zudem konnten wir mittels diversen Tests nachweisen, dass das Projekt die Anforderungen der Schweizer Netzbetreiberin Swissgrid erfüllt.

Welche Bedingungen müssen dafür erfüllt sein?

Das Übertragungsnetz funktioniert nur, wenn Produktion und Verbrauch von Strom im Gleichgewicht sind. Mit unserem Projekt wollten wir aufzeigen, dass V2X dereinst einen wesentlichen Beitrag leisten kann, damit Stromengpässe verhindert und Überlastungen vermieden werden können. Eine Bedingung dafür ist, dass die Elektroautos innerhalb von zwei Sekunden auf Signale von Swissgrid reagieren können, um Netzschwankungen auszugleichen. Das ist uns gelungen. In Zeiten von drohenden Strom- und Netzengpässen ist dies ein wichtiger Erfolg, der das Potenzial von bidirektionaler Ladetechnik unterstreicht.

Dann steht der flächendeckenden Einführung von V2X nichts im Weg?

Vom technischen Gesichtspunkt her kann man das auf jeden Fall sagen. Die Herausforderungen beim Aufbau von Ladeinfrastruktur in der Schweiz sind nach wie vor immens. Die grösste Challenge sind allerdings die regulatorischen Rahmenbedingungen. Andere Länder sind diesbezüglich progressiver unterwegs und weiter.

Wo liegen hier die Herausforderungen?

Die heutige Gesetzgebung ist auf grosse Pumpspeicherkraftwerke zugeschnitten – also auf wenige, grosse und eher träge Anlagen. Mit V2X bieten wir eine digital reagierende, sehr schnelle, diffuse und flexible Energiequelle. Dieser Entwicklung muss der Gesetzgeber gerecht werden. Mit dem derzeit im Parlament diskutierten Mantelerlass der Strom- und Energieversorgung sind wir auf dem richtigen Weg.  

Welche Vorteile bringt die V2X-Technologie gegenüber den grossen Pumpspeicherkraftwerken?

Es geht nicht darum, die beiden Systeme gegeneinander auszuspielen. Die Pumpspeicherkraftwerke garantieren auch in Zukunft den Ausgleich – dies jedoch primär über einen längeren Zeitraum betrachtet, bis hin zu saisonalen Speicherungen. Mit V2X hingegen, können wir schneller und flexibler auf kurzfristige Schwankungen reagieren. E-Autos eigenen sich ideal, um Schwankungen innerhalb von Stunden, Tagen oder Wochen auszugleichen. Zudem können sich private Fotovoltaik-Betreiber die Technologie zunutze machen, da sie dank V2X die überschüssige Fotovoltaik-Produktion vom Mittag für den Abend «aufsparen» können.

Die Ladesäule im Detail: Das E-Auto ist angeschlossen, die V2X-Entladung läuft.

Wo lohnt sich der Einsatz der bidirektionalen Ladetechnologie?

Überall dort, wo Fotovoltaikanlagen und Elektro-Fahrzeuge stationiert sind. Dort kann der Kauf einer teuren und leistungsstarken stationären Batterie vermieden und stattdessen eine bidirektionale Ladestationen eingesetzt werden. Dank der Optimierung des Eigenverbrauchs lassen sich teure Netzgebühren sparen.

Wie haben die Kundinnen und Kunden auf das Projekt reagiert?

Wir sind positiv überrascht, wie viele Kundinnen und Kunden Interesse an der neuen Technologie bekunden. Wir haben viele Zuschriften erhalten, Vorträge gehalten und Journalistenanfragen beantwortet. Die grundlegende Idee hinter V2X ist, dass wir als Mobility Genossenschaft in Zukunft nicht nur für geteilte Mobilität stehen, sondern auch für geteilte Energie. Diese Vision stösst bei unseren Kundinnen und Kunden offensichtlich auf Anklang.

Wie geht es mit V2X nun weiter?

Das Projekt «V2X Suisse» läuft noch bis Ende März 2024, der Schlussbericht folgt einige Monate später. Wenn man bedenkt, wie viele Elektrofahrzeuge in den kommenden Jahren auf den Markt kommen, ist schon jetzt klar, dass die Technologie ein enormes Potenzial birgt. In den nächsten Jahren werden Millionen E-Autos unterwegs sein; sie alle könnten in der Summe als riesiges Kraftwerk auf Rädern genutzt werden.

Welches sind die wichtigsten Voraussetzungen, damit aus dieser Vision dereinst Realität wird?

Das Teilen von Energie und Leistung muss am Ende des Tages einfach und insbesondere ökonomisch sein. Bis dahin gibt es noch einige Hürden zu überwinden. Auf der anderen Seite zeichnet sich ab, dass das Schweizer Parlament bald die doppelten Netzgebühren abschaffen wird, womit die Basis für eine wirtschaftlich sinnvolle Umsetzung der Technologie gelegt wird. Für mich besteht kein Zweifel: Der V2X-Technolgie gehört die Zukunft. 

Für Marco Piffaretti ist klar: Der V2X-Technolgie gehört die Zukunft.

Dieser Beitrag entstand bei Projekthalbzeit im Herbst 2023.

Was ist «V2X-Suisse»?

Das zeitlich begrenzte Forschungsprojekt lief operativ von Herbst 2022 bis Frühling 2024. Dabei wurden 50 bidirektionale Honda-e-Autos in den regulären Carsharing-Betrieb von Mobility integriert. Es war der erste grossflächige Test mit bidirektional ladenden E-Autos in der Schweiz. Er sollte zeigen, wie sich dank dieser Technologie Lastspitzen im Stromnetz brechen lassen und wie Standorte mit Solaranlagen ihren Eigenverbrauch optimieren können. Zudem wollte man das betriebswirtschaftliche Potenzial von bidirektionalen Fahrzeugen in der Schweiz untersuchen und den Wettbewerb zwischen den potenziellen Flexibilitätsabnehmern auf drei Netzebenen (Swissgrid, Verteilnetzbetreiber und Zusammenschluss zum Eigenverbrauch) testen.

Der Schlussbericht wird im Sommer 2024 auf ARAMIS (der Forschungsdatenbank der Bundesverwaltung) publiziert. ARAMIS - Die Forschungsdatenbank der Bundesverwaltung - Startseite (admin.ch)

Fazit: Das Projekt hat die technische Machbarkeit bewiesen und der bidirektionalen Technik Schwung verliehen. Es zeigte auf, dass neben dem bewährten V2H (Vehicle-to-Home) auch V2G (Vehicle-to-Grid) technisch funktioniert, sowohl netz- als auch systemdienlich. Ein wirtschaftlicher Betrieb für ein Carsharing-Unternehmen rechnet sich aktuell aber noch nicht.

Nebst Mobility waren folgende Unternehmen bei dem Projekt dabei: Automobilhersteller Honda, Software-Entwickler sun2wheel, Ladestationen-Entwickler EVTEC, Aggregatoren tiko, wissenschaftliche Begleitung durch novatlantis, in Zusammenarbeit mit der ETH. Das Projekt wird durch das Pilot- und Demonstrationsprogramm des Bundesamts für Energie BFE unterstützt.

Bilder Copyright: Patrick Besch

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