Migros, Coop, Raiffeisen, Mobility und viele mehr gehören zu den bekanntesten Schweizer Genossenschaften. Sie vertreten damit eine Gesellschaftsform, die aufgrund ihres demokratischen Charakters besonders dafür geeignet ist, Probleme der Zukunft zu lösen. «Schliesslich verfolgen Genossenschaften neben wirtschaftlichen Aspekten auch gesellschaftliche», sagte Anja Niedworok, Researcherin der ETH Zürich, auf dem Swiss Social Economy Forum (SSEF) in Zürich. Mit der Forderung nach verantwortlichem und nachhaltigem Wirtschaften habe sich die Genossenschaft als eine sehr gute Rechtsform erwiesen. Schliesslich seien demokratische Werte sowie Fragen rund um Gewinn, Besitz und Partizipation hier bis in die DNA verankert.
Unter Gründer:innen ist der genossenschaftliche Gedanke kaum präsent
Allerdings – darin waren sich die SSEF-Fachpersonen einig – ist der genossenschaftliche Gedanke unter Start-up-Gründer:innen und jungen Konsument:innen heute kaum präsent. Im Gegenteil: Die Gesellschaftsform wurde in den letzten Jahren eher vernachlässigt. Wer als Start-up zur Gründungsberatung geht, bekommt diese Rechtsform kaum vorgeschlagen. «Vermutlich, weil Genossenschaften anspruchsvoller zu gründen und zu führen sind», erklärte Regina Natsch, Rechtsanwältin und Expertin für Genossenschaftsrecht.
«Alle wollen mitreden» schreckt ab – zu Unrecht
Tatsächlich schrecke der partizipative Charakter viele ab, allen voran der Gedanke «jedes einzelne Genossenschaftsmitglied ist stimmberechtigt». Lars Kläger zerstreute diese Sorge auf dem SSEF: «Man muss die richtige Balance finden», sagte der Mobility-CCO. So gelte es zum Beispiel, genau zu überlegen: Was entscheiden Verwaltung oder Geschäftsleitung? Was die Delegiertenversammlung? «Geht es etwa um eine neue App, beteiligen wir eher Fachpersonen», so Kläger. Rechtsanwältin Natsch ergänzte: «Wie Mitbestimmung in einer Genossenschaft gelebt wird, hat diese selbst in der Hand».
Ein entscheidender Vorteil von Genossenschaften sei die Gewinnung von Talenten. «Mitarbeitende wollen heute kluge Lösungen schaffen und sind nicht nur am Lohn interessiert», sagte ETH-Researcherin Anja Niedworok. Diesen Ansatz hätten Genossenschaften verinnerlicht – schliesslich liege dort der Fokus auf nachhaltigem Wirtschaften statt auf maximalem Gewinn.
Selbst für Fachstellen findet sich leicht gutes Personal
Dieser «purpose» war auch für Lars Kläger ein Grund, um vor zwei Jahren von der Privatwirtschaft zur genossenschaftlich organisierten Mobility zu wechseln. «Bei Mobility finden wir selbst für Fachstellen gutes Personal – weil mit nachhaltigem Carsharing eben ein Zweck dahintersteht», so Kläger. Zwar seien die Löhne nicht so hoch wie in der Privatwirtschaft, dafür setze Mobility auf Lohngleichheit.
Corona habe ausserdem einmal mehr gezeigt, wie stark der Zusammenhalt innerhalb der Belegschaft sei: Während des Lockdowns stand die Mobility-Fahrzeugflotte von 3000 Autos von einem Tag auf den anderen plötzlich still. Damals hätten alle Mitarbeitende einen unglaublichen Einsatz geleistet – «so eine Identifikation mit dem Job habe ich in der Privatwirtschaft nie erlebt».
«Fragt nach dieser Gesellschaftsform!»
Was also müsste passieren, damit die Genossenschaft wieder öfter als Rechtsform gewählt wird? «Fragt nach dieser Gesellschaftsform!», lautet Rechtsanwältin Natschs Rat an Gründer:innen. «Setzt euch damit auseinander, sonst verpasst ihr Chancen!», rief sie Gründungsberater:innen zu. Von bestehenden Genossenschaften wiederum wünscht sie sich: «Nutzt den Rahmen, den euch das Genossenschaftsrecht gibt, mit guten Ideen». Und an Banken appellierte sie: «Zeigt mehr Mut! Investiert auch ausserhalb eurer gängigen Prüfschemata!»
Die genossenschaftliche Herangehensweise ist «einfach ein wahnsinnig interessantes Konstrukt», betonte Researcherin Niedworok zum Schluss. Schliesslich greifen Genossenschaften dank ihres partizipativen Ansatzes auf eine Form von kollektiver Intelligenz zurück – «eine Ressource, die ansonsten völlig ungenutzt bleibt».
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