Herr Fröse, wie lange wird es dauern, bis sich bidirektionales Laden mit Fahrzeugen in der Schweiz durchsetzt?
Volker Fröse: «Eine Bemerkung vorab: Elektromobilität heisst nicht nur, dass Fahrzeuge einen anderen Treibstoff haben. Die Fahrzeuge werden Teil des Energiesystems. Mit dem bidirektionalen Laden steht der Schweiz ein gigantischer virtueller Speichersee zur Verfügung. Wir können es uns nicht leisten, diese Speicherkapazität nicht zu nutzen. Bidirektional wird Standard. Die Batterien sind schon lange parat dafür. Die Frage ist, wann die restliche Technik so weit sein wird. Wahrscheinlich geht es auf einmal schneller als wir denken.»
Welche regulatorischen Anpassungen sollten in der Schweiz erfolgen, damit bidirektionales Laden (abhängig von oben) zum Standard wird?
«Bevor wir den grossen «Speichersee» ans Netz bringen können, braucht es einige Anpassungen auf nationaler Ebene, die auch technische Anpassungen bedeuten. Das dauert leider, auch wenn es nervt. Zuvor werden mit dem Mantelerlass, über den wir am 9. Juni abstimmen, wichtige erste Voraussetzungen geschaffen. Neu werden lokale Zusammenschlüsse über das einzelne Haus hinaus möglich. Auch wenn E-Autos im Mantelerlass nicht explizit vorkommen, werden darin enorm wichtige Weichen gestellt.»
Ein einzigartiger Test
Dies ist der erste grossflächige Test seiner Art. Seit September 2022 bis März 2024 sind 50 «Honda e» an 40 Mobility-Standorten in der ganzen Schweiz im Einsatz. Zum ersten Mal können bidirektional-ladende Serienelektroautos flächendeckend im Mobilitätsalltag genutzt werden.
Das Testmodell im internationalen Vergleich:
- Bislang gab es noch keinen vergleichbaren Test mit 50 Fahrzeugen – andere Projekte setzen auf eine deutlich geringere Anzahl
- Flächenmässige Verteilung von 40 Standorten auf das ganze Land – bislang wurden die Tests auf nur einen Standort oder eine Stadt beschränkt
- Das Versuchsmodell setzt auf zertifizierte Serienprodukte im Normalbetrieb (Ladestation und Fahrzeug auf CCS-Basis) – keine geschulten Benutzer, Laborbetrieb oder Prototypen
- Die Stromflexibilität wird gleichzeitig drei verschiedenen Abnehmern angeboten (Netzregulation, lokale EVU und ZEV) – bislang wurde immer nur mit einem Abnehmer getestet
Wer sollte das bidirektionale Laden mit Fahrzeugen vorantreiben - eher die Hersteller, Importeure, die Energieversorgungsunternehmen, Private, die Städte, die Kantone oder der Bund?
«Jede und jeder kann schon heute im Kleinen beginnen. Mit «Vehicle to Home» (V2H) können wir Fotovoltaik-Strom mit dem Elektroauto in die Nacht ‹retten›. Das lohnt sich, weil die Batterie gleichzeitig das Auto ist. Innerhalb eines ZEV (Zusammenschluss zum Eigenverbrauch) funktioniert das schon. Jetzt braucht es mehr Autos, die das bidirektionale Laden erlauben. Renault und VW haben neue Modelle angekündigt, aus China können wir Überraschungen erwarten. In der Folge werden auch die Ladestationen günstiger. Ich finde es wichtig, dass dann die Flottenbetreiber vorzeigen, dass es geht. Das schafft Vertrauen.»
Elektrizitätsunternehmen treten derzeit in verschiedenen Rollen auf dem Markt auf, z.B. in der Rolle als Ausbauer von Ladeinfrastrukturen, als Verteilnetzbetreiber, jüngst als Carsharing-Anbieter. Wie beurteilen Sie die Situation?
«Die Elektrizitätsversorgungsunternehmen sind in einer komfortablen Lage: Als öffentliche Unternehmen mit garantierten Einnahmen und langfristigen Amortisationszeiträumen können sie viel ausprobieren und Risiken eingehen. Das war in der Startphase der E-Mobilität durchaus sinnvoll, weil sonst kaum jemand in Ladestationen investieren konnte. Ich meine aber, dass sich die öffentliche Hand zurückhalten oder sogar zurückziehen soll, wenn private Anbieter diese Leistungen erbringen. Sonst entsteht ein Ungleichgewicht. Es kann und darf nicht sein, dass Stromunternehmen im Besitz der öffentlichen Hand private Anbieter konkurrieren.»
Kann es in der Folge der Elektrifizierung zur missbräuchlichen Nutzung von Strukturen im Markt kommen? Mobility verfügt nicht über die gleich langen Spiesse wie sich im Staatsbesitz befindliche Konzerne. Wird das für Mobility zu einem Problem?
«Definitiv! Staatliche Unternehmen haben in der Regel einen gesetzlichen Auftrag, der ihr Tätigkeitsgebiet regelt. Dieser Auftrag wird oft sehr gutmütig ausgelegt. Solange es keine private Konkurrenz gibt, ist das durchaus sinnvoll und nutzt der Öffentlichkeit. Leider fällt es den Staatsbetrieben anschliessend schwer, sich aus dem Wettbewerb zurückzuziehen, wenn sie nicht mehr gebraucht werden. Aus unternehmerischer Sicht ist das nicht schön, da man sich etwas aufgebaut hat. Aber dieser Aufbau basiert auf öffentlichen Geldern und bedeutet einen erheblichen Vorteil. Wenn ein Staatsbetrieb Angebote schafft, die bereits gut am Markt existieren, wo kein Monopolproblem besteht, ist das aus meiner Sicht ein No-Go.»
Mit Volker Fröse gesprochen hat Alexandra Stäuble.
Quelle Portrait Volker Fröse: ZFV
Bemerkungen
Lieber Jürg, da gibt es schon Mechanismen. Einerseits kannst Du sagen, bis wohin die Batterie entladen werden darf. Zudem wird die nie sehr stark belastet, sondern eher als Ausgleich dienen - vor allem wenn sehr viele Fahrzeuge am Netz sind, braucht es von jeden nur wenige kWh.
Gibt es Beispielrechnungen wie "gigantisch der Speichersee" ist, den man mit bidirektionalem Laden anzapft?
Ist es ökonomisch und ökologisch sinnvoll auf Volumen und Gewicht optimierte Fahrzeugbatterien als Speicher zu verwenden, die dadurch schneller altern (Ladezyklen) und die mit ihrer Verlustleistung den Parkplatz heizen?
Lieber Kurt
Moderne Batterien erlauben zwischen 5000 bis 10000 volle Ladezyklen (also von fast 0 bis fast 100%). Die Ladungen dazwischen (40-80 %) sind schon für die heutigen Batterien kein Stress. Bei der genannten Zahl Zyklen und einer vorsichtigen Annahme von 300 km pro voller Ladung kommst Du auf 1,5 bis 3 Mio Kilometer. Da wird die Batterie das kleinste Problem sein.
Der Speichersee: Nehmen wir an, ein Viertel der Flotte ist elektrisch und lädt bidirektional. Wenn jedes Fahrzeug pro Nacht 10 kWh zur Verfügung stellt, sind das pro Nacht 16 Gigawattstunden. Das reicht nicht für die ganze Schweiz, aber es hilft enorm bei der Stabilisierung und dem kurzeitigen Ausgleich bis z.B. ein Wasserkraftwerk anläuft.
Das wäre im Endausbau alles andere als ein Hobby von Mobility. Mobility (oder auch andere BEV-Flottenbetreiber) würde damit Pumpspeicherkraftwerke konkurrieren. Strom hauptsächlich laden, wenn er günstig ist und dem Netz wieder zur Verfügung stellen, wenn er teuer ist. Und wieso noch einen zweiten Akku haben, wenn bereits einer vorhanden ist und die Bedürfunisse alleine abdecken kann? Was ist wohl wirtschaftlicher?